HNA Kassel, d. 06. Nov. 2007
Drei Tabletten bestimmen ihr
Leben
Claudia Bach ist stark
Contergan-Geschädigt: Sie ist mit Armen und Beinen geboren worden, die nur wenige
Zentimeter lang sind. Saugen kann sie ohne Hilfe: Claudia Bach, die seit 21 Jahren in Kassel
lebt, hat das Rohr ihres Staubsaugers mit der Metallsäge verkürzt. Foto:
Künzel
Kassel. Da war dieser selbstzufriedene Miami-Vice-Typ mit Goldkettchen und Oberlippenbart,
ein Mitarbeiter des Landeswohlfahrtsverbands in Kassel. Claudia Bach, stark
Contergangeschädigt, kam mit verkürzten Armen und Beinen zur Welt. Sie brauchte
Geld, um ein Auto behindertengerecht umbauen zu können. Der Mitarbeiter des
Landeswohlfahrtsverbands wollte nichts geben.
"Versetzen Sie sich mal in meine Lage. Ohne Auto kann ich nur in meiner Wohnung
herumsitzen", hat Claudia Bach gesagt. Ihr Gegenüber verschränkte die Arme und
antwortete: "Ich bin froh, dass ich mich nicht in Ihre Lage versetzen muss."
Szenen wie diese gab es immer wieder in Claudia Bachs Leben, Verständnis hat sie im
Umgang mit Ämtern selten erfahren. Trotzdem, sagt die 45-Jährige, möchte sie
weder Arme noch Beine haben. Dann, so glaubt sie, wäre sie ein anderer Mensch
geworden. Und mit der Claudia Bach, die es gibt, ist sie zufrieden.
Vom Hausarzt verschrieben
Während der ersten Wochen der Schwangerschaft hat ihre Mutter drei Tabletten des
Beruhigungsmittels Contergan genommen, weil sie so schlecht schlafen konnte. Der Wirkstoff
Thalidomid führte dazu, dass Claudia Bach am 19. Dezember 1961 mit Armen und Beinen
geboren wurde, die nur wenige Zentimeter lang sind. "Ich habe ihr nie einen Vorwurf gemacht",
sagt Claudia Bach, schließlich hatte der Hausarzt das Medikament verschrieben. Später
haben Mutter und Tochter darüber gesprochen, was gewesen wäre, wenn die
Behinderung schon vor der Geburt bekannt gewesen wäre. "Sie hat gesagt, sie hätte
mich nicht abgetrieben."
Ihre Wohnung hat Claudia Bach an ihre Größe
angepasst, sie misst nur gut einen Meter. Regale und Schränke sind niedrig, alles, was
wichtig ist, kann sie erreichen. Für den Rest, etwa die Küche, hat sie sieben Helferinnen,
von denen sie immer eine unterstützt. Es gibt ein Gästebett, wo die Assistentinnen
schlafen können. Claudia Bach hat rund um die Uhr Unterstützung.
Im Wohnzimmer, das von den zehn Aquarien in grünliches Licht getaucht ist, lässt
sie sich in einen Sessel ohne Füße fallen, ihr Hasenkaninchen Henry kuschelt sich dazu.
Von hier aus kann sie den 50 Zentimeter hohen Holztisch mit dem Aschenbecher erreichen.
Dafür beugt sie den ganzen, etwas steifen Oberkörper nach vorn, ihre Arme sind
auch hierfür zu kurz. Vier Wirbel in ihrem Rücken sind zusammengewachsen, das
macht sie unbeweglich. Claudia Bach raucht selbst gestopfte Zigaretten, alles andere wäre
zu teuer. Die Contergan-Rente von 545 Euro ist nicht üppig, auch ihre tierpsychologische
Praxis wirft keine Reichtümer ab.
Im Badezimmer hat sich Claudia Bach ein kleines Waschbecken angebracht, es hängt
wenige Zentimeter über dem Fußboden. Mit einem Kleiderbügel kann sie sich ohne Hilfe
die Hose ausziehen. So hat sie auf der Toilette ein wenig Privatsphäre geschaffen. Auch
duschen kann sie allein, nur beim Haarewaschen braucht sie Hilfe, mit ihren kurzen Armen
lässt sich das Shampoo nicht einmassieren. Das Rohr ihres Staubsaugers hat sie mit
einer Metallsäge so verkürzt, dass sie allein den Teppichboden reinigen kann.
Im Alltag, so sagt sie, hat sie kaum Probleme. "Die meisten Menschen akzeptieren mich, wie ich
bin." Dass sie zu Anfang einer Freundschaft vielleicht neugieriger beäugt wird als andere,
daran hat sie sich gewöhnt. Der Großteil ihrer Bekannten ist nicht behindert, auch bei
ihren Partnerschaften hat ihre Contergan-Schädigung keine Rolle gespielt, sagt Claudia
Bach..
Verantwortlich für die zerbrochenen Beziehungen war, so glaubt sie, ihr Beruf als
Tierpsychologin. 1995 hat sie eine eigene Praxis in Kassel eröffnet, sie behandelt dort
Hunde, Katzen, Mäuse, Vögel, Hühner, Pferde und
Hängebauchschweine. Und wenn ein Tier abends oder nachts Hilfe braucht, ist Claudia
Bach da. Viele Kinobesuche oder Fernsehabende mit ihren Partnern waren da nicht drin.
Keine Förderung
Das Geld, das sie brauchte, um die Praxis einzurichten, hat sie sich Anfang der 90er-Jahre nach
ihrem Psychologie-Fernstudium von der Sozialhilfe abgespart, eine Förderung vom
Arbeitsamt gab es nicht. Claudia Bach gibt bei ihrer Arbeit Ratschläge, um das
Zusammenleben von Mensch und Tier zu erleichtern. Ein Traumjob, findet sie. Hier hilft ihr ihre
Größe sogar: Sie glaubt, dass sie, weil sie so klein ist, weniger Angst bei Hunden, Katzen
und den anderen Patienten auslöst.
Die beiden Teile des Contergan-Films zeigt die ARD heute und morgen um 20.15 Uhr.
Von Johanes Künzel
Filmkritik: